Georg Jäger und Claus-Michael Ort
Systemtheoretische Medienkonzeptionen


Protokoll der Sitzungen vom 6.12.01 und 13.12.01



I. Medium-Form-Begriff

Ein Medium kann nur ein Medium in der Differenz zu einer Form sein, und umgekehrt.
Medien sind formbar und lose gekoppelt (Bsp.: Text als Form, Sprache als Medium). Worte als Elemente der Sprache lassen sich nur durch die Formung zu Sätzen nutzen. In autopoeitischen Systemen spielen Medium / Form- Hierarchien eine entscheidende Rolle.

Zwei Modelle lassen sich denken:

  1. Die Differenz von Form und Medium wird zum Medium weiterer Formbildung. Form und Medium sind Gestaltungsmöglichkeiten, deren Verhältnis auf sich selbst angewandt wird. Es entstehen Differenzen, die bearbeitet werden können.

  2. Bei der Bearbeitung des Mediums durch die Unterscheidung von Form und Medium im Medium wird im Augenblick dieser Thematisierung das Medium zur Form und rückt in den Objektstatus. Das Medium dieser neuen Formbildung kann anschließend wieder zur Form werden.


    Entscheidungen werden diffiziler, da durch den Prozess der Formfindung die Auswahl einschränkt wird (Komplexitätsgewinn durch Limitierung der Kontingenz). Bei der Bildung neuer Texte wird das Medium nicht verbraucht.

Bsp. Typographie
Mit Typographie werden Weltanschauungen verbunden, so z.B. die Fraktur mit Deutschtum als Ideologie und Weltanschauung. Dazu werden die Formmerkmale der Schrift benutzt, also eine neue Form/Medium-Unterscheidung gebildet. Das ideologische Gebilde "Fraktur" ist auf der Formseite, die Mediumseite hat eine untergeordnete Bedeutung. Hier wird eine Differenz von Medium und Form gehandhabt: nur in der Abgrenzung der Fraktur von der Antiqua kann die Form ideologisch aufgeladenen werden.


II. Beobachtbarkeit von Systemen
- ist Märchen ein System?

Systeme sind Formen, die die Einheit der Differenz von Form und Inhalt beinhalten und durch spezifische Elemente gekennzeichnet sind. Sie entstehen erst durch Beobachtung und durch die Unterscheidung des Beobachteten.

Codes regeln die Grenzziehung eines Systems zu anderen Systemen. Eine mögliche Codierung eines Systems Märchen wäre die Erzählform, also Märchen / Nicht-Märchen.
Programme regeln, wie der Code auszulegen ist, sie dienen zur Festlegung der inneren Struktur (Eigenkomplexität) und können sich im Zeitverlauf ändern. Im System Märchen beschreibt das Programm Merkmale wie z.B. Stilmittel und Motive sowie Regeln ihrer Verbindung.
Märchen können folglich als System betrachtet werden.

Beobachtung ist die Einheit der Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung. Der Beobachter ist immer ein System und tritt in der Systemtheorie an die Stelle des Subjekts. Eine Unterscheidung der verschiedenen Märchenfassungen setzt Beobachter voraus. Eine systemtheoretische Rekonstruktion von Texten kann nur durch einen von außen kommenden Beobachter erfolgen, der über Speichermedien verfügt.

Im Fall Märchen kann dieser Beobachter z.B. den Variantenreichtum feststellen. Oralität kann eigentlich (= im Zustand der Oralität) nicht untersucht werden, da in einem oralen Märchensystem kein Beobachter mit Speichermedium denkbar ist.


III. Buchhandel aus systemtheoretischer Perspektive

Organisationen koordinieren Systeme in ihrem Miteinander.
Leistung einer Organisation ist die Anwendung einer Entscheidung aus einem System auf eine Entscheidung aus einem anderem System.

Bsp.: Verlag als Organisation: Anwendung einer wirtschaftlichen Entscheidung auf eine kulturelle. (Input: Kultur, Output: Wirtschaft)

Interpenetrationszonen zwischen Systemen:

Befand sich der DDR-Buchhandel in einer Interpenetrationszone zwischen den Systemen Wirtschaft und Politik?

In der DDR gab es nur einen eingeschränkten wirtschaftlichen Eigenbereich. Unklar ist, ob in der DDR überhaupt ein eigenständiges System Wirtschaft existiert hat, oder ob das System Politik "Wirtschaft gespielt" hat.
Das Systems Wirtschaft bzw. Buchhandel wurde mittels Macht gesteuert; die Eigenselektivität des Systems wurde dadurch zerstört.


Der Buchhandel heute befindet sich in der Interpenetrationszone zwischen den Systemen Wirtschaft und Kultur.

Bsp.: Preisbindung als Eingriff in die liberal gedachte Welt des Wirtschaftens: Das Politische System beeinflußt durch ein Gesetz (aus dem Rechts-System) das System Wirtschaft, um das System Kultur zu schützen.
Es scheint aber, als ob das die wirtschaftliche Seite im Vergleich zur kulturellen an Einfluß gewinnt.


Jedes System rekonstruiert in sich andere Systeme, um intern und auch mit anderen Systemen agieren zu können.
Damit würde das System Wirtschaft nicht die Funktion anderer Systeme übernehmen, sondern nur dominant erscheinen, weil es in fast jedem System rekonstruiert wird, um mittels des Erfolgsmediums Geld Ressourcen zu erschließen.


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