Georg Jäger und Claus-Michael Ort
Systemtheoretische Medienkonzeptionen
Protokoll der Sitzung vom 08.11.01
von Manuela Köstner, Annette Niedermeier und Susanne Bartel
1. Einführung in
den Problemkreis
Der Vergleich von symbolisch
generalisierten Kommunikationsmedien soll den Bau des einzelnen Mediums
verdeutlichen und eine Typologie des Baus zeigen. Des weiteren soll der Code
des Systems zum Code des jeweiligen Mediums ins Verhältnis gebracht werden.
Funktionen von symbolisch
generalisierten Kommunikationsmedien:
Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien setzen bei sozialen Systemen an.
Ego und Alter Ego sind hierbei die sozialen Bezugspunkte zwischen denen die Kommunikation
stattfindet. Diese Bezugspunkte spezifizieren die Struktur der Kommunikation durch
die Erwartungsstruktur. Das bedeutet, man weiß, in welchem System man ist. Des weiteren
leisten Kommunikationsmedien einen Beitrag zur Selektionsübertragung und Motivation
der Annahme von Selektionen. Die Selektion wird also erleichtert. Um dies nun noch
einmal zusammenzufassen, kann gesagt werden, die Funktion eines symbolisch
generalisierten Kommunikationsmediums ist, die Teilnahme von Systemen in der Umwelt
des in einem bestimmten Medium operierenden Systems zu ermöglichen.
Es herrscht eine "bestimmte
Unbestimmtheit" für Kommunikation in den Systemen vor. Die Determinante "bestimmt"
ist deswegen gewählt, da man weiß, in welchem System man sich befindet und "Unbestimmtheit",
weil die Selektionsofferte nicht weiter ausgeführt ist. S.g.K. ermöglichen durch
Konditionierung von Motivation und Selektion trotz "bestimmter Unbestimmtheit"
Kommunikationen. Diese beziehen sich aber nicht auf Kommunikationsbereiche, die
sich mit Umwelt- / Personenänderungen befassen.
Die symbolisch generalisierten
Erfolgsmedien sind Zusatzeinrichtungen zur Sprache, sie erweitern sprachliche
Möglichkeiten im sozialen, räumlichen und zeitlichen Sinn.
Die symbolisch generalisierten
Kommunikationsmedien erweitern die Kommunikation über den Kreis der Anwesenden.
Kommunikation und Interaktion können getrennt sein: Ein Auseinan-dertreten
findet in dem Augenblick statt, in dem Speichermedien wie beispielsweise Schrift
oder Druck verwendet werden.
Exkurs zu Jan Assmanns
Buch "Kultur und Gedächtnis": Durch Fixierung von Sprache in Texten kann darauf
in Auslegungen, bzw. Interpretationen Bezug genommen werden. In oralen Kulturen
gibt es so etwas nicht.
Die kommunikative Leistung
von s.g.K wird durch die Anwendung auf sich selbst gesteigert: Die Reflexivität
zeigt sich z. B., indem gezahlt wird um des Zahlens Willen.
S.g.K entstehen durch
gesellschaftliche Evolution. Es werden somit immer mehr kommunikative
Möglichkeiten für besondere kommunikative Situationen generiert.
II.1. Vergleich zwischen den
Erfolgsmedien Geld und Sprache
Die zwei klassischen Medien,
auf die im Rahmen der Medienkonzepte seit spätestens Parsons Bezug genommen wird,
sind Geld und Sprache. Anhand des Aufbaus beider Medien soll der Unterschied
zwischen ihnen herausgearbeitet werden und die Bedeutung von Symbolisierung
und Generalisierung gezeigt werden.
Die Codierung des Systems
Wirtschaft ist haben/nicht haben und die des Mediums Geld zahlen/nicht zahlen.
Wie man am Zeitalter der Tauschkultur sehen kann, bedarf das System Wirtschaft
nicht unbedingt des Mediums Geld, es erleichtert aber die funktionale
Ausdifferenzierung des Systems und ist somit für heutige Standards unentbehrlich
geworden.
Die Symbolisierungsleistung des Erfolgsmediums besteht darin, dass Geld Zeichen
für all das ist, wofür es ausgegeben werden kann, es repräsentiert die Einheit
der Differenz zwischen Zahlung und Nichtzahlung.
Das Kommunikationsmedium generalisiert, indem es eine Beliebigkeit in sachlicher,
sozialer und zeitlicher Hinsicht und damit eine große Freiheit in der Wahl der
Verfügung über das Medium offenlässt. Das Erfolgsmedium selbst nimmt also keinen
Einfluss darauf, wofür es genutzt wird.
Das symbolisch generalisierte
Kommunikationsmedium Sprache ist Grundlage aller anderen Erfolgsmedien.
Sprachliche Zeichen sind immer eine zweiseitige Aktivierung von Signifikant und
Signifikat (nach de Saussure). Sie stellen also die Einheit der Differenz zwischen
Bezeichnetem und Bezeichnendem dar. Beide Elemente sind so unlösbar miteinander
verbunden wie die Vorder- und Rückseite eines Blattes Papier. Das Erfolgsmedium
Geld hingegen aktiviert nur eine Seite des binären Codes, da sich Zahlung und
Nichtzahlung gegenseitig ausschließen. Zudem hat dieses Medium im Gegensatz zur
Sprache kaum Semantik, also einen höherstufig generalisierten, relativ
situationsunabhängig verfügbaren Sinn. Ähnliche Verhältnisse lassen sich in der
Musik feststellen. Musiknoten haben eine strukturelle Dimension, aber ihre
Semantik (die von ihr ausgelöste Empfindung) ist sehr ungenau.
Auf der Ebene der Reflexivität ist das Erfolgsmedium Geld stärker als Sprache.
Denn es ist Metakommunikation erforderlich, um Sprache auf sich selbst reflexiv
anzuwenden. Geld hingegen eröffnet z.B. Zeithorizonte (bei Kreditaufnahme:
heute Zahlung , später Rückzahlung), ist wenig komplex und bleibt damit immer
die Einheit der Differenz zwischen Zahlung und Nichtzahlung. Geld kann gut mit
sich selbst reflexiv gesetzt werden.
Die Frage nach Sinnaufbau ist beim Erfolgsmedium Sprache durch Textbildung
beantwortet. Hingegen ist es fraglich, ob Geld eine Sinnwelt aufbauen kann.
Es befreit grundsätzlich von der Rechtfertigung ungleicher Zahlungsmöglichkeiten
und der Frage nach Moralität von Geldzahlungen (diabolische Seite des Geldes).
Durch Reflexivität wird jedoch auch hier zumindest in organischen Systemen
Sinn aufgebaut (siehe die Sensibilität des Kapitalmarktes für psychologische
Phänomene, Stichwort: Börse).
II.2.
Erfolgsmedium Liebe
Liebe ist Medium und
System zugleich. Genauso wie alle anderen Erfolgsmedien trägt Liebe zur
Reduktion der Komplexität der Strukturen bei.
Es ist eine semantische Einrichtung und ermöglicht das Zusammenfinden zweier I
ndividuen, die im vornherein durch verschiedene Werte, beziehungsweise
Wertesysteme geprägt sind.
Der Code, der diesem System zugeordnet wird, heißt ja/nein. Als Programm fungiert
die Passion, als Funktion wird dem System Liebe die Partnerwahl zugeschrieben.
Programme werden durch Texte vermittelt.
Ab dem 18 Jahrhundert wird in den fiktionalen Texten die Innenperspektive der
Figuren in den Mittelpunkt gerückt. Der Leser beginnt die Welt aus der Perspektive
des Charakters zu sehen, was seine eigene Horizonterweiterung zur Folge hat.
Generell erfolgt die Konstruktion des alter ego von ego über Zeichen, die erkannt
und interpretiert werden müssen, denn bei Liebe handelt sich immer um ein ego-alter
ego Verhältnis.
Im Text kann sich ego spielerisch und ohne Realitätsstatus alter ego konstruieren
und so einen Code aufbauen, der auch in der Realität angewendet werden kann.
Wie wird nun im System Liebe der Code ja/nein, beziehungsweise Liebe/Nicht-Liebe
konstruiert?
Der Code des Systems Liebe ist von dem des Mediums Liebe schwer zu differenzieren.
In beiden erfolgt eine Zweitkodierung aller Zeichen, die in Hinblick auf Liebe/
Nicht-Liebe ausgewertet werden.
Es entsteht eine Parallelwelt Liebe. Die Welt kann dupliziert werden in eine öffentliche,
anonyme Lebenswelt und in eine idiosynkratisch konstituierte Privatwelt, in der
alle Ereignisse parallelgewertet werden. Zur Reduzierung der Unsicherheit
bezüglich der Deutung kann das Medium Vertrauen hinzugezogen werden, so daß das
System Liebe stabilisiert wird.
Eine sichtbare Zweitcodierung stellt die Ehe dar.
Bemerkt werden soll, daß das Liebes System zur Strukturverlagerung auf
Neben-Codes tendiert.
Im symbiotischen Mechanismus (Regulativ des Mediums für sein Verhältnis zu
organischen Prozessen) wird Liebe mit Sexualität verbunden.
Der Sinnaufbau des Erfolgsmediums Liebe erfolgt ohne Reflexion. Beginnt alter über
seine Handlungen nachzudenken, so ist das System Liebe zum Nichtfunktionieren
prädestiniert.
Der Erfolg/Nichterfolg des Sinnaufbaus findet seine Auswirkung ähnlich der Börse
im organischen System. Jeder kennt die Symptome, die Verliebtsein oder
Verlassenwerden im Körper auslösen.
In der Leistung des Vergleichs zwischen zwei Systemen findet sich ein Pluspunkt
für die Anwendbarkeit der Theorie Luhmanns.
II.3. Erfolgsmedium Macht
Das symbolisch generalisierte
Erfolgsmedium Macht ist untrennbar mit dem politischen System verknüpft. Als Code
fungiert wollen/nicht-wollen. Das Medium Macht setzt ähnlich wie Geld Offenheit
in der Wahl der Selektionsmöglichkeiten voraus. Im Gegensatz jedoch zum Medium/System
Liebe fehlt ihm die Semantik.
Macht muß, um gesellschaftsweit tragfähig zu sein, durch Konsens gedeckt und in
diesem Sinn legitim sein. Diese Auffassung betrifft Anforderungen an die Codierung
selbst. So scheint eine Zweitcodierung der Macht mit Hilfe des Schematismus
Recht/Unrecht notwendig zu sein, um seiner Falschanwendung vorzubeugen.
Ebenfalls wird durch Organisation, hierarchische Verhältnisse und festen
Entscheidungsfindungsregeln codiert.
Macht steht mit physischer Gewalt in einem symbiotischen Mechanismus:
Sie setzt voraus, daß sie durchsetzbar ist und kann im Zweifelsfall mit Gewalt
drohen und diese anwenden.
Einfluß im Gegensatz dazu, zählt auf Ansehen und Reputation als Grundlage seiner
Anerkennung. Wenn diese nicht vorhanden sind, kann Einfluß nichts ausrichten.
Wo Einfluß versagt, da greift die Macht mit der Möglichkeit der physischen Gewalt
als Durchsetzungsmaßnahme.
II.4 Begriffserläuterungen:
(in Anlehnung an Krause, Detlev: Luhmann Lexikon, Stuttgart: Lucius & Lucius 2001)
Code:
Eine binäre Leitdifferenz oder eine bistabile Form zur Erzeugung von binären
Differenzen oder Unterscheidungen. Codes sind immer zweitwertig, haben einen
positiven und negativen Wert. Im Beispiel Macht wollen/ nicht wollen, im Beispiel
Liebe ja/nein.
Programme:
Markieren den Wiedereintritt eines ausgeschlossenen Dritten in das autopoietische
System. Sie versorgen Systeme mit Regeln zulässigen Kommunizierens. Auch liefern
sie Vorgaben für codegeführte Operationen. Programme verwandeln Codes in Medien,
denn sie dienen der Zuweisung sinnhafter Ereignisse zu positiven Codewerten.
Im Funktionssystem Politik mit dem Medium Macht und dem Code wollen/ nicht
wollen herrscht das Programm der politischen Ideen und Ideologien. Aus oben
genannten folgt dann, dass politische Ideen den Code wollen/nicht-wollen in
das Medium Macht verwandeln, da sie dem positiven Codewert wollen sinnhafte
Ereignisse zuweisen.
Symbiotischer Mechanismus:
Begriff für diejenigen Medien, mit denen ein System unterscheidet, in welcher
Beziehung relevante Bereiche des Organischen oder des Lebens zu dem Operationen
vermittelten symbolische generalisierten Kommunikationsmedium stehen.
Liebe wird dabei mit Sexualität (dem Bereich des Organischen oder des Lebens)
verknüpft, Macht steht mit physischer Gewalt im symbiotischen Mechanismus.
Semantik:
Beobachtung oder Fixierung von Sinn für wiederholten Gebrauch. Semantik steht
für einen höherstufig generalisierten, relativ situationsunabhängigen Sinn.
Beobachtungen semantischer Veränderungen sind Beobachtungen gesellschaftlicher
Strukturveränderungen.
Systeme, allgemein:
Systeme dienen dem Ordnen von Chaos in der komplexen Lebensumwelt.
Als System gilt alles, worauf die Unterscheidung eines spezifizierten Innen und
eines spezifizierten Aussen anwendbar ist. Diese Setzung führt zur Unterscheidung
System versus Umwelt. System ist eine Form, nämlich die Einheit der Differenz von
System und Umwelt.
In Systemen wird die Lebensumwelt rekonstruiert und die Komplexität auseinandergezogen.
Es wird beobachtet wie sich Elemente zueinander verhalten. Diese werrden selektiv
verknüpft uns strukturieren das System auf diese Weise.. Dieses führt zur Reduktion
der Komplexität in der Lebensumwelt. Symbolisch generalisierte Erfolgsmedien helfen
dabei.
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