Georg Jäger und Claus-Michael Ort
Systemtheoretische Medienkonzeptionen



Parsons Interaktionsmedien im Vergleich mit Luhmanns Erfolgsmedien

0. Was stellt die Basis für die Interaktionsmedien dar?

Innerhalb der Evolution differenziert sich unsere Gesellschaft immer weiter aus. Um diesem entgegen zu wirken muß gleichzeitig eine Art der Integration erfolgen, um zur Stabilisierung der Gesellschaft beizutragen und Evolution überhaupt möglich zu machen. Das Fundament dazu bildet die Sozialisation. Durch das Medium der Bildung entsteht auf der Basis von Traditionen eine stabilisierte, eine gesamte Gesellschaft umspannende, Struktur, die die Selektion relevanter Muster und ihre Übernahme garantiert. Jedes Individuum durchläuft eine Reihe von Interaktionssystemen (Lern- und Bildungsstufen), deren zentrale Strukturkomponenten er verinnerlicht. Dadurch entsteht beim einzelnen Indviduum ein Verpflichtungsgefühl zu diesen verinnerlichten Wertinhalten, und insgesamt eine gesellschaftliche Struktur. Dieses stellt die Basis für die Interaktionsmedien dar.

1. Parsons Interaktionsmedien

Parsons Interaktionsmedien sind gekoppelt an die vier Subsysteme seines Sozialsystems "Gesellschaft". Diese vier Interaktionsmedien sind:

  1. Geld (Ökonomisch-technisches System)
  2. Macht (Politisches System)
  3. Einfluß (Gesellschaftliche Gemeinschaft)
  4. Wertbindung (Sozial-kulturelles System)
Die generelle Frage, die mit den Interaktionsmedien beantwortet werden soll, ist die, wie Interaktion entsteht: "Warum soll ein anderer (Alter), dem ich (Ego) meine Wünsche und Absichten offenbare, auf dieses Angebot eingehen ?"

Zur Beantwortung dieser Frage bedient sich Parsons der Interaktionsmedien. Diese sind die Mittel, um im Handeln bestimmte Absichten deutlich zu machen und durchzusetzen. Sie dienen der Mitteilung dessen, was man (Ego) möchte und sollen den angesprochenen Partner (Alter) zu einem komplementären Handeln motivieren.

Die Interaktionsmedien stellen Kommunikationsmittel dar, die - im Gegensatz einer nur auf allgemeinen Sprache basierenden Interaktion - durch die Einbettung in tragende Strukturen (einer Wirtschaftsordnung, einem politisches System, etc.) die Möglichkeit erhalten, allein mit Symbolen zu agieren. Die Interaktionsmedien stellen Mechanismen der Entlastung von bedeutsamen Handlungsmustern dar, so daß diese in der Gesellschaft unter einfachsten Bedingungen wiederholt werden können.

Zusätzlich wird durch den Gebrauch dieser Symbole eine zusätzliche Absicherung erreicht, die durch den Gebrauch von zum Beispiel nur sprachlichen Mittel allein nicht möglich wäre. So ist ein Angebot von Geld im Tausch gegen eine Ware wesentlich eindeutiger und greifbarer, als irgendeine nur mündliche Zusicherung eines Tausches mit zum Beispiel einem anderen Gut.

2. Die Interaktionsmedien als Selektionsprozeß

Die Interaktionsmedien stellen einen formalisierten und standardisierten Selektionsprozeß von Handlungsofferten dar, der sich mit Hilfe generalisierter und abstrakter symbolischer Mittel vollzieht (z.B. Geld). Diese Selektion ist für das Individuum abhängig von seiner Situation, dem verfügbaren Angebot an Interaktionsmedien, seiner Gruppensituation und seiner sozialen Rangmuster. Die Interaktionsmedien steuern die Selektion und den Selektionstransfer (= Alter motivieren auf Egos Angebot einzugehen) von Handlungsmustern in einer Gesellschaft beim Aufbau von Interaktion. Die Interaktionsmedien steuern aber nur dort, wo es um die Regelung strategisch wichtiger Probleme geht. Dabei enthalten Parsons Interaktionsmedien zwei Komponenten:

  • Erstens die Hintergrundstruktur eines Netzwerks von Regeln der tragenden Strukturen, auf die sie sich stützen (der normative Hintergrund der Gesellschaft).
  • Zweitens die Interaktionsmedien als eine Menge von Tauscheinheiten: Innerhalb der Gesellschaft sind die Interaktionsmedien als Kapazitäten anzusehen, die jedes einzelne Individuum besitzt. Diese Kapazitäten sind in der Gesellschaft sehr breit verstreut und ungleich verteilt, aber an manchen Stellen stark an einem Punkt gebündelt (Bundeskanzler besitzt viel Macht und Einfluß). Und sie wirken immer gesellschaftlich zusammen. Jeder, der an der sozialen Interaktion teilnehmen will, muß ein Minimum an Kapazitäten der Interaktionsmedien besitzen, sonst kann er an der sozialen Interaktion nicht teilnehmen.
  • 3. Definitionen und Wirkungsweisen
    der einzelnen Interaktionsmedien

    Macht

    Definition: Macht ist die Legitimation, für ein Kollektiv verbindliche Entscheidungen zu fällen, die für Mitglieder des Kollektivs, aufgrund von allgemeinen Regeln, bindend sind.

    Wirkungsweise: Weil Ego über die Möglichkeit verfügt, Drohstrategien einzusetzen, geht Alter auf sein Angebot ein. Ego versucht also Alter davon zu überzeugen auf sein Angebot einzugehen, weil die Möglichkeit nicht auf sein Angebot einzugehen, mit Nachteilen für Alter behaftet sind, die dieser vermeiden will. Dabei ist nicht die Durchsetzung der Drohung mit Nachteilen das, was Alter überzeugen soll, sondern nur allein die Androhung dieser Nachteile.

    Geld

    Definition: Geld bestimmt die Fähigkeit eines Individuums an sozialen Tauschprozessen teilzunehmen, in denen es um den Handel mit Gütern geht um einen ökonomischen Nutzen zu erzielen: Stichwort: "Ökonomische Dispositionskapazität"

    Wirkungsweise: Genau im Gegensatz zur Macht bietet Ego hier Alter einen Vorteil an, falls seine Selektionsofferte angenommen wird. Geld ist also das Transaktionsmedium, das auf dem Versprechen von Vorteilen beruhen, die Alter durch die Annahme der Selektionsofferte erlangen kann.

    Einfluß

    Definition: Einfluß definiert sich dadurch, andere durch Lieferung von Informationen zu einem gewünschten Handeln zu bewegen.

    Wirkungsweise: In der Gesellschaft, in der wir leben herrscht eine Überkomplexität. Ein Mensch kann nicht alles wissen, alles tun, alle Fähigkeiten erlernen, die er zum gesellschaftlichen Leben braucht. Ein Überleben in dieser Gesellschaft ist also nur möglich durch die Übernahme der Selektionen anderer. Man verläßt sich also und vertraut auf das Wissen und die Fähigkeiten anderer Individuen. Dadurch ensteht in unserer Gesellschaft der Faktor des Expertentums.

    Einfluß hat nun derjenige, der als Experte einen Informationsvorsprung hat, den ein anderer benötigt. Diesen Informationsvorsprung hat (mehr oder weniger) jeder Einzelne in der Gesellschaft, insoweit wie ihm Vertrauen für vernünftige Selektionen zugemutet werden. Als Beispiel vertrauen wir den Informationen einer Zeitung, je nachdem wie "seriös" sie uns erscheint.

    Bei diesem Prozeß ist allerdings keine Kontrolle möglich. So kann ein Patient seinen Arzt nicht kontrollieren, ob er die Untersuchung richtig durchgeführt hat und die Ergebnisse richtig sind. Er muß ihm aufgrund seines Informationsvorsprunges und Expertentums vertrauen. Und auf diesem Vertrauen aufbauend, können diese Individuen andere zu einem gewünschten Handeln bewegen.

    Diese Art des Selektionstransfers nimmt dabei in unserer "Informationsgesellschaft" eine immer wichtigere Stellung ein.

    Wertbindung (Commitments)

    Definition: Übernahme der Selektion Egos durch Alter, weil sie ihm als einzig wahre Wahl oder auch sachlich begründet erscheint.

    Wirkungsweise: Durch die in Abschnitt 0 angesprochenen Lernprozesse oder auf der Grundlage erfolgreichen Handelns begründet, wurden gewisse Selektionen verbindlich stabilisiert.

    Jedes Individuum wird im sozialen Umfeld geboren und durchläuft die Folge von Sozialisationssystemen. Sozialisation wird durch kulturelle Muster introduziert und von dem Individuum verinnerlicht. So wird im einzelnen Individuum ein normativer Gesamtapperat aufgebaut, der seine Selektionen und Verhaltensabläufe konditioniert. Dadurch entstehen in ihm generalisierte Verpflichtungen einer abstrakten Ordnung von Normen und Werten, die Parsons als Commitmens (Wertbindungen) = generalisierte Verpflichtungen bezeichnet. Die darauf basierenden Selektionenstransfers werden mit dem Anspruch einer allgemeinen Gültigkeit angeboten und akzeptiert, und als "normative Selektionen" bezeichnet.

    4. Beziehungen zwischen den Medien

    Nach Parsons sind seine vier Interaktionsmedien durchaus untereinander substituierbar und kombinierbar. So kann bei ihm ein Ziel, das durch Geld nicht erreichbar war, durchaus mit Macht und/oder Einfluß möglich gemacht werden. Hier wäre dann die Grenzfrage zu diskutieren, wie weit ein Interaktionsmedium das andere ersetzen kann. Wie weit kann zum Beispiel Geld Macht ersetzen? Und welches ist das "stärkste" der Interaktionsmedien? Die Interaktionsmedien sind also alle auf eine komplexe und diffuse Weise miteinander verflochten.

    5. Fragestellungen und Unterschiede zu Luhmanns Erfolgsmedien

    In dem Vergleich mit Luhmanns Erfolgsmedien liegt schon die Hauptfrage begründet: In wie weit kann man zwei Komponenten (Interaktionsmedien und Erfolgsmedien) zweier völlig unterschiedlicher Systemtheorien miteinander vergleichen? Ein paar Ansatzpunkte gibt es dennoch: Gemeinsam ist den beiden Arten von Medien, daß sie einen Selektionsprozeß darstellen bzw. fördern, der das Ziel hat, komplexe Selektionstransaktionen möglich zu machen. Unterschiede liegen in folgenden Punkten:

    • In der Auswahl und Bezeichnung der Medien: Bei Parsons sind es: Geld, Macht, Einfluß und Wertbindung, bei Luhmann die Medien: Wahrheit, Geld, Liebe, Macht und Recht.
    • Parsons läßt in seiner Theorie der Interaktionsmedien auch Einzelpersonen (Individuen) miteinander agieren, was bei Luhman nicht der Fall ist.
    • Bei Parsons ist eine Austauschbarkeit der Interaktionsmedien möglich, was bei Luhmann nicht der Fall ist. Eine Zusammenwirken ist aber bei beiden möglich.

    Literatur:

    - Jensen, Stefan (Hg.). Studienbücher zur Sozialwissenschaft (Bd. 39). Talcott Parsons. Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1980.
    - Krause, Detlef: Luhmann-Lexikon, 3. Auflage. München: Wilhelm Fink Verlag, 2001.


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