Georg Jäger und Claus-Michael
Ort
Systemtheoretische Medienkonzeptionen
Darstellung und Unterhaltung als Medium: Der
Sportjournalismus in der Perspektive von Luhmanns Erfolgsmedien
von Manuela Köstner
1. Der theoretische Bezugsrahmen der Problemstellung
Um aufzeigen zu
können, wie sich der Wandel des Sportjournalismus – von einer neutralen,
faktenbezogenen Berichterstattung zur Unterhaltung – in Luhmanns
Betrachtungen der Realität der Massenmedien einordnet, müssen zunächst
grundlegende Begriffe geklärt werden. Diese sollen in Beziehung zum
Sportjournalismus gesetzt werden und vor dem Hintergrund der Leitfrage, ob
der Sportjournalismus mit Hilfe der symbolisch generalisierten Erfolgsmedien >Showsport< generiert, diskutiert werden.
1.1 Ausdifferenzierung als Verdoppelung der Realität
Das Wissen über unsere
Gesellschaft und sogar die ganze Welt ist größtenteils durch die
Massenmedien initiiert. Unsere Erfahrungen mit den Massenmedien [ 1 ] lassen uns allerdings an der Glaubwürdigkeit dieser Quellen oft genug zweifeln,
Manipulationsverdacht kommt auf. Trotzdem müssen wir auf dem
medienvermittelten Wissen aufbauen und daran anschließen.
Die Verbreitungstechnologien im Medienbereich vertreten das, was im
Wirtschaftssystem durch das Medium Geld geleistet wird: Formenbildung wird
ermöglicht, und dadurch können kommunikative Operationen gebildet werden.
Die Ausdifferenzierung und die operative Schließung des Mediensystems ist
gegeben. Durch die Unterbrechung des unmittelbaren Kontaktes von Sender
und Empfänger sind hohe Freiheitsgrade der Kommunikation gesichert, die
nur noch systemintern durch Selbstorganisation und eigene
Realitätskonstruktion kontrolliert werden können. Von Realität der
Massenmedien kann deswegen in doppeltem Sinn gesprochen werden, weil die
Massenmedien einerseits ihre reale Realität in ihren eigenen Operationen
aufbauen (das sind die in ihnen ablaufenden bzw. sie durchlaufenden
Kommunikationen) und andererseits eine doppelte Realität bedingen, die >Sequenzen von Beobachtungen< als Realität erscheinen lassen.
Die Frage nach
wahrheitsgemäßer Berichterstattung wird von Luhmann ausgeklammert, denn
die Massenmedien sind als beobachtende Systeme genötigt, zwischen
Selbstreferenz und Fremdreferenz zu unterscheiden; sie können sich
selber nicht für die Wahrheit halten, denn sie müssen Realität konstruieren
und zwar im Unterschied zu ihrer eigenen Realität. Da Luhmann keine normativen Vorgaben für Berichterstattung impliziert und keine
objektiv zugängliche, konstruktionsfrei
erkennbare Realität postuliert, kann die Frage nach der Verzerrung der Realität durch Massenmedien nicht gestellt werden.
Gerade aus diesem Grund aber gilt es zu fragen: Wie konstruieren
Massenmedien Realität (vgl.Luhmann 1996: 9-24)?
Da es nach Luhmann eine objektive Realität, die verzerrt werden könnte, nicht geben kann, konzentriert sich die Frage nicht auf das >was<, sondern auf das >wie<:
- Wie wird Realität im Sportjournalismus konstruiert und warum hat ein Wandel der Strukturen (bzw. der Frames die für eine Interpretation der Berichterstattung von den Massenmedien geliefert werden) stattgefunden?
Die erste Hypothese lautet: Realität wird systemintern durch Sinngebung
erarbeitet, und die Sinngebung im Sportjournalismus hat sich verändert.
Unterhaltungselemente steuern mehr und mehr die Sinngebung. Das ist ein
Indiz dafür, daß das Sportsystem und das Journalismussystem immer
komplexer werden und sich beide Systeme zunehmend stärker werdenden Irritationen aussetzen, weil mehr Varietät zugelassen werden kann. Es ist also mehr möglich als der bloße, an Fakten orientierte Journalismus. Sport kann vernetzt und inhaltlich mit anderen Informationen aufgeladen werden.
1.2. Selbstreferenz und Fremdreferenz
Das Mediensystem kann
zwischen Selbstreferenz und Fremdreferenz unterscheiden. Die Differenz von
System und Umwelt wird in das System hineinkopiert. Das System muß zuerst
operieren und seine Operationen fortsetzen, bevor es die auf diese Weise
erzeugte Differenz als Unterscheidung und damit als Schema der eigenen
Beobachtungen verwenden kann. Dieses Faktum führt zu folgenden
Annahmen:
- Jede Sendung verspricht eine weitere Sendung. Hier geht es nie um
die augenblickliche Repräsentation der Welt, wie sie ist.
- In der Wahrnehmung des Systems verwischt sich die Unterscheidung der
Welt, wie sie ist, und der beobachteten Welt.
- Der Systemzustand geht als Irritation, als Überraschung, als Neuheit
in die weitere Kommunikation ein.
- Daß die Massenmedien trotz ihrer operativen Schließung nicht
'abheben', nicht aus der Gesellschaft 'heraustreten', wird durch die Themen
der Kommunikation verhindert. Themen sind unumgängliche Erfordernisse
der Kommunikation; sie konstituieren die Fremdreferenz der
Kommunikation.
- Themen dienen der strukturellen Kopplung der Massenmedien mit
anderen Gesellschaftsbereichen. Dabei sind sie so elastisch und
diversifizierbar, daß die Massenmedien durch die verschiedenen Themen
alle Gesellschaftsbereiche verknüpfen können.
- Der Erfolg der Massenmedien in der Gesellschaft beruht auf der
Akzeptanz der von ihnen gelieferten Themen.
- Daraus ergibt sich, daß Beobachter, und das können auch die
Organisationen im System der Massenmedien sein, zwischen Themen und
Funktionen der Kommunikation unterscheiden. Nachrichten werden mit
der Absicht gebracht, möglichst viele Leser zu interessieren, somit
wird Kommunikation als Kommunikation reflektiert. Die Selbstreferenz
wird aktualisiert.
- Die Unterscheidung Themen/ Funktion entspricht der Unterscheidung
Fremdreferenz / Selbstreferenz.
- Dadurch gewinnt der Beobachter Freiheiten in der Themenwahl. Er kann
Informationen weglassen, er muß sich nicht durch die Wahrheit motivieren
lassen und sich von externen Vorgaben abhängig machen. Er kann falsche oder
möglicherweise falsche Informationen bringen. Allein die Funktion muß vom Beobachter im Auge behalten und der Sensationswert gegen das Risiko möglicher
Aufdeckung abgewogen werden (vgl.Luhmann 1996: 24-32).
Aus den dargelegten Annahmen resultiert nun die zweite
Hypothese: Die Welt kann nicht so abgebildet werden, wie sie ist und
wie sie sich in kürzester Zeit verändert. Deswegen liegt es nahe, feste Anhaltspunkte in den Interessen der Leser bezüglich des 'Dachthemas' >Sport< zu suchen, damit das System stabil bleibt. An dieser Stelle
kommen die symbolisch generalisierten Erfolgsmedien als Brücke zwischen den Systemen ins Spiel. Die festen Anhaltspunkte in den Interessen der Leser müssen identifiziert
bzw. spezifiziert werden. Wenn der Sport nicht realitätstreu abgebildet
werden kann und muß, liegt es für die Sportjournalisten nahe, den
Lesern innerhalb des Systems >Sport< Anhaltspunkte zu liefern bzw.
anzubieten, die die Kommunikation über Sport wahrscheinlicher, oder wahrscheinlich
erfolgreicher und interessanter machen.
Wie zeigt sich diese Annahme in sportjournalistischer Arbeit? Der Inhalt kann sich latent oder manifest auf andere Bereiche aus anderen
Systemen beziehen. Diese Bereiche werden
durch die symbolisch generalisierten Erfolgsmedien und ihre dazugehörigen
Codes bestimmt und so auch in den Text eingearbeitet (vgl.Luhmann 2001: 31-76). Des weiteren führen die symbolisch generalisierten Erfolgsmedien zu einem höheren Unterhaltungswert, als bloße Fakten oder nüchterne Ereignisberichte. Der Sportjournalismus,
als Institution gesehen, nutzt die Codes der Erfolgsmedien in immer
stärkerem Maße, um Leser zu fesseln.
1.3. Codierung
Jede
Kommunikation kann an eine andere Kommunikation anschließen, wenn die Bedingung
der Herstellung von Sinnzusammenhang erfüllt ist (vgl.Krause 2001: 152
ff.). Die Massenmedien, wie auch der Sportjournalismus, dienen der
Generierung und Verarbeitung von Irritation, dadurch wird Resonanz auf
Umweltereignisse erzeugt. Das Irritationskonzept liefert die Erklärung für
einen zweiteiligen Informationsbegriff: Zum einen kann durch Information
ein Unterschied zu dem, was schon bekannt ist, registriert werden und zum
anderen können daraufhin die Strukturen des Systems geändert werden.
Daraus ergibt sich, daß Massenmedien die Gesellschaft
wach halten, dies geschieht durch die Leitdifferenz des Codes Information
/ Nichtinformation (vgl.Luhmann 1996: 32-49).
2. Die Sportberichterstattung im System der Massenmedien
Der Wunsch nach
verlässlicher Information hat zu einer selbstselektiv spezifizierten
Universalität und im Zuge dessen zu einer Durchsetzung
binnendifferenzierter Programmbereiche geführt. Luhmann
unterscheidet, ohne systematische Deduktion und Begründung einer
geschlossenen Typologie, drei Programmbereiche: Nachrichten / Berichte,
Werbung und Unterhaltung. Die These des Wandels in der
Sportberichterstattung bezieht sich auch auf eine gewandelte Einordnung
des Sportjournalismus. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde zunächst die
nüchterne, an Fakten orientierte Sportberichterstattung gepflegt. Heute tendiert der Sportjournalismus mehr zur Unterhaltung. Aus diesem Grund
wird der Sport auch immer stärker mit anderen Lebensbereichen
wie Wirtschaft, Politik und Kultur verknüpft. Die Sportberichterstattung
übernimmt es, den "Durchschnittsrezipienten" von seinem Alltag bei
einem Mangel an Eigenerleben und Abenteuer durch Showsport im Sinne von
"Brot und Spielen" abzulenken (vgl.Hackforth / Fischer 1994; Hackforth /
Weischenberg 1978).
Die Unterhaltung in Luhmanns Systemtheorie ist eine
Komponente der modernen Freizeitkultur, deren Leistung darin besteht,
überflüssige Zeit auszufüllen. Es wird unablässig auftretende
Unsicherheit, die auf weitere Informationen angewiesen ist, erzeugt.
Unterhaltung wird von Luhmann definiert als: keinen Anlaß suchen und ihn doch
finden. Der Beobachter kann sich, da es sich nur um Unterhaltung handelt und Authentizität nicht
zwingend ist, auf das Erleben und die Motive der in den Massenmedien
vorgeführten Personen konzentrieren. Unterhaltung zielt auf Aktivierung
von selbst Erlebtem, Erhofftem, Befürchtetem und Vergessenem. Dies
impliziert eine Nähe zu Mythen, die in einer neu geschaffenen Mythologie
der Massenmedien ihre Entsprechung finden.
Luhmann postuliert, daß durch
Visibilisierung von Zeit als Tempo, oder Vorführung von Grenzsituationen
der Körperbeherrschung bspw.im Sport der Grenzfall des Umschlags von
Beherrschung und Nichtbeherrschung sichtbar wird. Deswegen dienen seiner
Meinung nach Sportsendungen im Fernsehen primär der Unterhaltung, und
Printprodukte, die die Fakten liefern, zählen zu den Nachrichten
(vgl.Luhmann 1996: 49-117). Diesen Überlegungen soll durch Hypothese
drei teilweise widersprochen werden: Auch im Printbereich tendiert die
Sportberichterstattung immer mehr in Richtung Unterhaltung. Das wird durch
ein Einflechten bzw. Verknüpfen von sportlichen Fakten (bloßen
Ergebnisdarstellungen) mit anderen Systemen über deren Codes erreicht. Aus den dargelegten
Gründen müßten sich in der Printsportberichterstattung thematische Bezüge
zur Politik mit dem Medium Macht (durch Anspielungen auf Recht / Unrecht),
zur Wirtschaft mit dem Medium Geld (durch Thematisierung von
geldwirtschaftlichen bzw. ökonomischen Transaktionen), zur Kultur mit den
Medien Werte, Moral (Aufbau nationaler Stereotypen) und zu
Intimbeziehungen mit dem Medium Liebe ( fortschreitende Personalisierung
durch human-touch Geschichten) finden lassen.
2.1. Die Ausdifferenzierung der Sportberichterstattung mit Hilfe der symbolisch generalisierten Erfolgsmedien
Die Massenmedien
stehen in einem ständigen Konkurrenzkampf um Leser, Hörer und Zuschauer. Die Textinhalte von Printprodukten sollen die Leser ansprechen und ihnen das liefern, was sie wünschen. Verortet man den
Sport in der Unterhaltung, liegt die Leistung der Berichterstattung darin,
den Lesern die Unterscheidung von >realer< und >fiktionaler Realität< zu
ermöglichen. Der Leser kann sich zurücklehnen und sagen, "mir kann so
etwas nicht passieren". Zugleich ist es aber möglich, sofern man sich
selbst beobachtet, die eigene Identität in der Berichterstattung zu finden,
sich also selbst in der dargestellten Welt einzuordnen.Dem Leser wird eine Gelegenheit
gegeben, an seiner eigenen Identität zu arbeiten, ohne die realen
Konsequenzen tragen zu müssen (vgl.Luhmann 1996: 114-115).
Sportjournalismus als Unterhaltungscontent ist interessanter als
Sport im Bericht- oder Nachrichtenstil. Der Sport ist mit den Massenmedien strukturell gekoppelt: Der Sport
profitiert von der Aufmerksamkeit der Medien und findet sich dadurch
zugleich irritiert. Meldungen in den Medien bedingen meistens eine
Reaktion im Sportsystem, die für gewöhnlich wieder durch die Medien
kommentiert wird. Aus dem Grund haben sehr oft dieselben Kommunikationen
zugleich eine Relevanz für den Sport und die Massenmedien (gehören als Ereignisse beiden Systemen an). Der Sport ist jedoch
nicht nur mit den Massenmedien strukturell gekoppelt, sondern auch mit anderen
Systemen wie Wirtschaft, Politik und Kultur. Diese Verknüpfungen werden
wiederum in den Massenmedien über die Codes thematisiert (vgl.Luhmann
1996: 124-125). Zusammenfassend ist zu sagen, daß sich konkret in der
Sportberichterstattung des Printbereiches die Codes aus anderen Systemen
nachweisen lassen sollten, da:
- der Sport sich als Unterhaltung in den Massenmedien immer
weiter ausgestaltet und dies den Leserbedürfnissen mehr entgegenkommt,
bzw. erfolgreicher ist, als Sport als Nachricht;
- der Sport nicht nur mit den Massenmedien strukturell gekoppelt ist,
sondern auch mit anderen Systemen. Somit fungiert die
Sportberichterstattung mitunter als Vehikel für Themen anderer Systeme.
Die dargelegten Hypothesen wären durch eine Inhaltsanalyse von
Printprodukten im Sportressort zu verifizieren oder falsifizieren.
Problematisch ist die Operationalisierung der Codes in anwendbare
Kategorien.
Anmerkungen
[1 ] Mit dem Begriff Massenmedien sollen im folgenden alle Einrichtungen der Gesellschaft erfaßt werden, die sich zur Verbreitung von Kommunikation
technischer Mittel zur Vervielfältigung bedienen (bspw. Druckpresse,
Funk, Fernsehen).
Literatur
Hackforth, Josef / Fischer, Christoph (Hg.): Das ABC des Sportjournalismus. München 1994.
Hackforth, Josef / Weischenberg, Siegfried (Hg.): Sport und Massenmedien. Bad
Homburg 1978.
Krause, Detlef: Luhmann-Lexikon. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. Stuttgart 2001.
Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien. 2. erw. Aufl. Opladen 1996.
Luhmann, Niklas: Einführende Bemerkungen zu einer Theorie
symbolisch generalisierter Kommunikationsmedien. In: Jahraus, Oliver
(Hg.): Luhmann, Niklas: Aufsätze und Reden. Stuttgart 2001,
S.31-76.
Jahraus, Oliver (Hg.): Luhmann, Niklas: Aufsätze und
Reden. Stuttgart 2001.
Weiterführende Literatur
Binczek, Natalie: Im Medium der Schrift. Zum
dekonstruktiven Anteil in der Systemtheorie Niklas Luhmanns. München 2000,
S.149-242.
Bonacker, Thorsten: Kommunikation zwischen Konsens
und Konflikt. Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Rationalität
bei Jürgen Habermas und Niklas Luhmann. Oldenburg 1997,
S.67-143.
Gerhards, Jürgen: Wahrheit und Ideologie. Eine
kritische Einführung in die Systemtheorie von Niklas Luhmann. Köln
1984.
Künzler, Jan: Medien und Gesellschaft. Die Medienkonzepte
von Talcott Parsons, Jürgen Habermas und Niklas Luhmann. Stuttgart 1989,
S.71-122.
|