Georg Jäger und Claus-Michael Ort
Systemtheoretische Medienkonzeptionen



Reflexionen
zur systemtheoretischen Medienkonzeption

Sprache – Schrift – Druck


1. Gesellschaft = Kommunikation

Luhmann definiert Gesellschaft als autopoietisches Kommunikationssystem und setzt damit folgenschwere Prämissen für eine soziologische Theorie: Diese beobachtet nicht (mehr) Individuen in ihrer (gesellschaftlichen) Ko-Evolution, sondern den Fortbestand und die Entwicklung bzw. Veränderung eines Prozesses aneinander anschließender Kommunikationen, die drei grundlegende Sinndimensionen generieren: Sozial-, Sach- und Zeitdimension.

Die Operation „Kommunikation“ bei Luhmann ist als "Form- Bildung" (Unterscheidung und Bezeichnung) im Sinne Spencer Browns zu verstehen: in ihr werden die Kommunikationselemente (1) "Mitteilung" und (2) "Information" im Zuge eines ´Verstehens` generiert. Das dritte Element von Kommunikation nach Luhmann, das (3) "Verstehen", ist daher (quasi reflexiv) als "Einheit der Differenz von Information und Mitteilung" definiert.

Beobachtet die Systemtheorie Luhmann’scher Provenienz die Entwicklung der Gesellschaft, beschreibt sie die Entwicklung von Kommunikation, konkreter: sie thematisiert die die Veränderung der Anschlussoptionen an einzelne Kommunikationsoperationen und die daraus resultierenden Folgen auf den drei Sinnbildungsebenen.

2. Luhmanns` "Medien–Theorie"

Die Luhmann’sche Systemtheorie kann auf Menschen und Individuen verzichten – aber nicht auf Medien:

"Diejenigen Errungenschaften, die an (...) Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren, wollen wir Medien nennen." (Luhmann: Soziale Systeme, S. 220)

Sie leisten im Luhmann’schen Theoriedesign - anders gesagt - nicht weniger als das Entscheidende:

  • sie garantieren die Autopoiesis des Kommunikationssystems Gesellschaft und damit dessen Existenz!

In Entsprechung zu den drei Unwahrscheinlichkeitsmomenten von Kommunikation:

  1. Unwahrscheinlichkeit des Verstehens
  2. Unwahrscheinlickeit des Erreichens und
  3. Unwahrscheinlichkeit des Erfolges
unterscheidet Luhmann drei Medientypen:
  1. Das Kommunikationsmedium Sprache,
  2. Speicher- und Verbreitungsmedien (Schrift und Druck) und
  3. symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien.

3. Kommunikationsmedium "Sprache"

"Das grundlegende Kommunikationsmedium, das die reguläre, mit Fortsetzung rechnende Autopoiesis der Gesellschaft garantiert, ist die Sprache." (Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 205). Denn dieses akustische Medium

  • koppelt das Bewusstseinssystem strukturell mit dem Kommunikationssystem
  • ermöglicht die Beobachtung des Unterschiedes von "Mitteilung" und "Information" , anders gesagt: die Unterscheidung von Laut und Sinn, also das "Verstehen"
  • stellt "für alles was gesagt wird, eine positive und negative Fassung zur Verfügung" (GdG, S. 221) und sichert durch diese "binäre Codierung" die Fortsetzung der Kommunikation.

4. Sekundäres Speicher- und Verbreitungsmedium "Schrift"

"Sprachliche Kommunikation ist also zunächst: Prozessieren von Sinn im Medium der Lautlichkeit" (GdG, S. 213) fasst Luhmann zusammen, und man könnte fortführen: Schriftliche Kommunikation ist daran anschließendes Prozessieren von Sinn im Medium der Bildlichkeit. Denn Luhmann definiert das Medium Schrift als eine "Umsetzung der Sprache in ein optisches Medium" (GdG, S. 256), und damit als ein sekundäres Kommunikationsmedium.

"Während die Sprache ganz allgemein ihre Form als Differenz von Laut und Sinn findet, ermöglicht die Schrift eine Symbolisierung genau dieser Differenz in einem anderen Wahrnehmungsmedium, im Medium der Optik. (...) das heisst: Schriftzeichen bringen die Einheit einer Unterscheidung zum Ausdruck, und zwar so, dass mit der Einheit weiter operiert werden kann, also andere Unterscheidungen getroffen werden können. Mit Schrift kann man ganz neuartige Operationen durchführen, nämlich lesen und schreiben, und dies genau deshalb, weil in diesen Operationen nicht zwischen Laut und Sinn, sondern zwischen Buchstabenkombinationen und Sinn unterschieden werden muß." (GdG, S. 255f.)

Schrift lässt nach Luhmann "zwar den Zusammenhang der beiden Selektionen Information und Mitteilung intakt und eignet sich deshalb für Kommunikation. Aber sie ermöglicht eine Vertagung des Verstehens und dessen interaktionsfreie Realisierung irgendwann, irgendwo, durch irgendwen. Sie vergrößert als Verbreitungsmedium die Reichweite der sozialen Redundanz." (GdG, S. 258.)

5. Diskussionsanregung:
Druck als Medium?

Luhmann definiert den (Buch-)Druck ebenso wie die Schrift als Verbreitungsmedium. Eigentlich stellt der Druck jedoch Druck als Medium "nur" die technisch realisierte (Re-)Produktion des Mediums "Schrift" dar. Das neue Medium wäre eigentlich die "Druck-Schrift", die sich vor dem Hintergrund der "Hand-Schrift" im Zuge der Technisierung ausdifferenziert. Der von Luhmann in seiner Theorie an dieser Stelle vollzogene Bruch in der Beobachtung: vom Medium hin zur Medienreproduktion, kann hinterfragt werden. Die Adaption der Luhmannschen Medienkonzeption in Hinblick auf die Ausweitung des Verbreitungsmedien-Begriffs auf das Medium "Buch" und das "Internet" steht damit in engem Zusammenhang. Konservativ argumentiert müsste man kritisch feststellen: Was bleibt, ist das optische Medium "Schrift". Was sich ändert, ist die Art der Reproduktion (und damit der Präsentation) dieses Mediums.

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